„Da ist etwas in Bewegung“

Bundesfamilienministerin zeichnet junge Menschen aus, die sich in der Hospizarbeit engagieren – Zwei Ehrenamtliche aus Thüringen im Gespräch

Erfurt, 18. April 2019. Kathleen Stichling aus Gotha und Volker Sondermann, Student in Weimar, sind seit mehreren Jahren ehrenamtlich in der Hospiz­arbeit tätig. Sie gehörten, gemeinsam mit fünf weiteren Ehrenamtlichen aus Thüringen, zu einer Gruppe von 95 jungen Menschen, die Anfang April von Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey nach Berlin zu einer Festveran­staltung eingeladen wurden. Unter dem Motto Letzte Wege begleiten. Mehr als ein Ehrenamt war die Feier der Auftakt für eine Initiative, die dem Ehren­amt in der Hospizarbeit und der Palliativversorgung zu mehr Anerkennung verhelfen soll.

Partner des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bei dieser Initiative sind der Deutsche Hospiz- und Palliativverband, die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und die Bundesärztekammer – also die drei Träger der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland.

Bei der Feier erhielten die jungen Ehrenamtlichen sogenannte Anerkennungs­urkunden: Das Dokument würdigt ihr Engagement und ermöglicht es ihnen, die erworbenen Kenntnisse im weiteren Leben nachzuweisen – etwa bei Bewerbun­gen für eine Ausbildung, einen Studienplatz oder einen Job. Diese Urkunde er­halten auch die vielen weiteren jungen Ehrenamtlichen, die in Deutschland in der Hospizarbeit aktiv sind. In Thüringen sind es derzeit mehr als 50, die unter 30 Jahre alt sind.

Um im Hospizdienst ehrenamtlich tätig zu sein, ist ein qualifizierter Vorberei­tungskurs Voraussetzung, der etwa hundert Stunden umfasst. Ihn haben auch die 29-jährige Kathleen Stichling und der 28-jährige Volker Sondermann absol­viert. Über ihre persönliche Motivation und das, was sie aus Berlin mitgenom­men haben, berichten die beiden Thüringer Ehrenamtlichen im Gespräch.

 

Wie haben Sie die Feier erlebt?

Kathleen Stichling: Es war sehr festlich und ehrwürdig. Wir waren im Berliner Umweltforum, einer ehemaligen Kirche in der Nähe des Alexanderplatzes, die für Veranstaltungen genutzt wird. Ich habe mich durch das ganze Ambiente und die Feier sehr wertgeschätzt gefühlt.

Volker Sondermann: Wir hatten alle direkt ein Gefühl von Zusammengehörig­keit. Ein spezieller Geist, der von Anfang an da war. Das Programm war cool, und mir hat es super gefallen, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

Was haben Sie aus den Gesprächen mit anderen jungen Ehrenamtlichen mitge­nommen?

VS: Vor allem, dass wir uns wünschen, das Sterben möge wieder Einzug in unser Leben halten. So, wie die Geburt eine Begleitung ins Leben braucht, so braucht das Sterben eine Begleitung hinaus: Das ist vielleicht so etwas wie ein gemein­sames Credo. Außerdem hat mich manche persönliche Geschichte sehr berührt. Da wirkt einiges immer noch nach.

KS: Ich hätte auch einen ganzen Tag nur mit Gesprächen verbringen können. Es war toll zu sehen, dass die Hospizarbeit nicht mehr nur ein Ehrenamt für ältere Generationen ist. Sondern dass da etwas in Bewegung ist unter jungen Menschen. Und andere haben tolle Ideen, wie sie die Hospizidee wieder in der Gesellschaft verankern können.

Ein konkretes Beispiel?

KS: Die Oldenburger beispielsweise haben eine Fahrradtour gemacht, die von der Presse begleitet wurde. Sie probieren außerdem aus, die Begleitung durch Mail-Austausch zu ergänzen. Das ist ja gerade für junge Menschen interessant. Mir ist durch die Gespräche auch klar geworden, dass wir in Thüringen gut auf­gestellt sind. Die ehrenamtliche Hospizarbeit ist hier schon sehr anerkannt.

Was war für Sie der Auslöser, sich in der Hospizarbeit zu engagieren?

KS: Als ich 18 war, hat sich mein damaliger Freund das Leben genommen. Das war ein grauenhaftes Erlebnis, das mich lange belastet hat. Während des Medi­zinstudiums habe ich dann von diesem Ehrenamt erfahren. Nach dem ersten Kontakt zum Ambulanten Hospizdienst in meiner Heimatstadt Gotha war klar: Das ist es. Das kann mir helfen, dem Erlebten etwas entgegenzusetzen. Einen anderen Blick auf den Tod zu bekommen und gleichzeitig etwas Sinnhaftes zu tun.

VS: Ich habe mich in den letzten Semestern meines Philosophiestudiums inten­siver mit dem Tod und dem Nichts auseinandergesetzt. Dann las ich in einem Magazin einen Beitrag über Sterbebegleitung. Das hat mich sofort angesprochen und schien wie eine praktische Ergänzung zur Theorie zu sein. Ich habe noch ein paar Monate nachgedacht und dann den Kurs zum Hospizbegleiter in Leipzig be­gonnen.

Vermutlich ist Ihr Leben ziemlich gefüllt – wie passt da ein Ehrenamt hinein?

VS: Stimmt, in meinem Leben ist es ganz schön dicht. Ich studiere momentan Medienkunst im Master an der Bauhaus-Uni und möchte als freischaffender Künstler und Musiker arbeiten. Im Kulturbetrieb herrscht großer Druck und alle Leute arbeiten viel. Aber gerade weil ich da einen großen Drang sehe, sich selbst zu verwirklichen, finde ich es so wichtig, auch einen anderen Raum zu schaffen. Einen, in dem ich komplett für einen anderen da bin.

KS: Durch meine Arbeit als Ärztin liegen die Themen Sterben und Tod vielleicht näher. Ich bin gerade in einem Projekt zur Palliativmedizin an der Uni Jena aktiv und setze anschließend meine Facharztausbildung fort. Dabei möchte ich mich auch weiter palliativmedizinisch qualifizieren. Job und Ehrenamt gehen bei mir also Hand in Hand.

Was ist Ihre persönliche Essenz aus der Begleitung sterbender Menschen?

VS: Sich ganz zurückzustellen, einfach nur für jemanden da zu sein, den Du nicht kennst, der Dich vielleicht auch nicht mehr richtig wahrnimmt. Ich bin momen­tan in meiner dritten Begleitung und es ist bei aller Anstrengung ein sehr beson­deres Gefühl, die letzten Schritte mitzugehen.

KS: Ich bin für das Leben unendlich dankbar. Menschen bei einem würdevollen Sterben zu begleiten, das ist für mich ein Ja zu diesem Leben.

VS: Übrigens ist es eine Nebenwirkung des Ehrenamtes, dass Du die Scheu ver­lierst und häufiger mit Familie und Freunden übers Sterben sprichst. Das geht auch an lustigen Abenden und bei einem Glas Wein. Und hinterher kommen wieder andere Themen dran.

KS: Mir ist noch eins wichtig. Ich bin nicht ehrenamtlich tätig, damit ich beruflich etwas davon habe. Insofern glaube ich, dass wir diese Intention hinter den Urkunden durchaus diskutieren sollten.

 

Links

www.charta-zur-betreuung-sterbender.de
www.dhpv.de

 

Der THPV

ist der Dachverband für die Hospiz- und Palliativarbeit in Thüringen. Er hat derzeit 48 Mit­glieder, darunter alle ambulanten Hospizdienste, alle stationären Hospize für Erwachsene, mehrere Pallia­tivstationen und Spezialisierte Ambulante Palliative Versorgungsteams. Zu den Auf­gaben des Verbandes zählt es unter anderem, Hospizbewegung und Palliativversorgung in ganz Thüringen bekannt zu machen, das Netzwerk der zahlreichen Hilfsangebote auszubauen und die Interessen der Mitglieder auf Landes- und Bundesebene zu vertreten. Die Akademie des THPV qualifiziert die ehren- und hauptamtlichen Mitar­beiter, die in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig sind.

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