„Stopp, jetzt hören wir den Menschen zu“

Es war gut, dass ich anfangs nicht wusste, worauf ich mich einlasse. In den ersten andert­halb Jahren habe ich die Palliative Care Ausbildung gemacht, mich zur Koordinatorin quali­fizieren lassen, Seminare zu Moderation, Leitung von Gruppen und Führungsthemen besucht und den Dienst aufgebaut. Das war viel, oft auch zu viel.

Der erste Qualifizierungskurs mit fünfzehn Menschen endete im Mai 2005. Zur Übergabe der Zertifikate sind wir alle nach Bad Berka auf die Palliativstation gefahren. Die hat an genau demselben Tag im Mai eröffnet. Seither sind wir mit unseren Ehrenamtlichen ein fester Teil des Teams der Station. 

Die Hospizarbeit hat mich verändert

Die ersten zehn Jahre habe ich den Dienst alleine geführt. Da war ich 365 Tage im Jahr ansprechbar, auch im Urlaub. Vom ersten Arbeitstag an fühlte es sich für mich wie ein Ankommen an. Absolute innere Zufriedenheit. Das hat mich getragen, auch in anstren­genden Zeiten. 

Später hat der Dachverband bessere Bedingungen für uns Hauptamtliche erkämpft. Ange­messene Gehälter, eine zweite Koordinatorin. Heute ist es verglichen mit den Anfangsjahren fast ein bisschen Luxus.

Die Hospizarbeit hat mich verändert. Ich bin aus dem schneller-höher-weiter raus. Nicht alles immerzu planen und vorausdenken wollen. Sondern viel mehr im Moment sein, mich mit allen meinen Sinnen einer Situation anvertrauen.

Ich erinnere mich an eine Begebenheit, da habe ich einen sterbenden Menschen auf der Palliativstation begleitet. Ich hatte mein Kommen versprochen, stand an dem Tag aber unter großem zeitlichen Druck. Bin also rein ins Zimmer, habe mich hingesetzt. Und nach zehn Minuten sagt mein Gegenüber: Ich glaube, es ist besser, Sie gehen wieder. Ich frage zurück: Ist es Ihnen gerade zu viel? Die Antwort: Nein, aber Ihnen. 

Das hat mich viel gelehrt. Dass Menschen am Lebensende spüren, welche Energien im Raum sind. Dass ich besser auf mein Bauchgefühl achtgebe. Mein Bauch wusste genau, dass es keine gute Idee ist, mich mit innerer Hektik ans Bett zu setzen. Ich bin bis heute dankbar für dieses Erlebnis, das mir gezeigt hat: meine Haltung spiegelt sich in dem, was ich tue.

Wir müssen wach sein

Für die Hospizarbeit hat sich viel geändert in den letzten beiden Jahrzehnten. Sie ist gesell­schaftlich bekannter und anerkannter. Und doch, denke ich, dass wir noch lauter und selbst­bewusster auftreten sollten. 

Wir Koordinatorinnen müssten viel mehr Öffentlichkeitsarbeit machen. Müssten intensiver informieren über die Hilfen am Lebensende. Wenn ich nur vorher gewusst hätte, was es alles an Unterstützung gibt – den Satz höre ich von Betroffenen nach wie vor. Und natürlich hat uns auch die Pandemie gezeigt: Wir müssen wach sein und, wenn nötig, laut werden. Laut Stopp sagen. Stopp, jetzt hören wir den Menschen erst mal zu.

Mona Conrad

Mona Conrad

ist seit 20 Jahren Koordinatorin beim Ambulanten Hospizdienst der Johanniter in Weimar. Davor war ihr Berufsleben abwechslungs­reich: medizinisch-technische Assistentin, Industriekauffrau, Sachbearbeiterin bei der Gleichstellungs- und der Behindertenbeauftragten der Stadt Weimar. Dann ein Job in der Psychosozialen onko­logischen Beratungsstelle der Johanniter – von dort war es nur noch ein kleiner Schritt, bis die heute 60-Jährige 2004 den Ambulanten Hospizdienst gründete.