„Es ging beides zusammen: die Trauer und die Freude“

Meine Masterarbeit im Philosophie-Studium handelte von einer Sterbebegleitung. Als ich die Idee dazu dem Professor vorgestellt habe, sagte er, es gebe doch so viele schöne Themen, warum könne ich mir davon nicht was aussuchen. 

Irgendwie eine typische Reaktion. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass Menschen nicht verstehen können, warum ich ehrenamtlich in der Hospizbegleitung arbeite und auch beruflich in dieses Themenfeld eingestiegen bin.

Wie kannst du danach nach Hause gehen und mit deinen Kindern lachen? Das haben mich Freundinnen gefragt, als ich von meiner Arbeit in der Ambulanten Palliativversorgung erzählt habe. Es ist nicht einfach, Außenstehenden zu vermitteln, was mich motiviert. Wie unbeschreiblich es ist, wenn mir ein geplagter Mensch am Ende unseres Gesprächs ein winziges Lächeln schenkt. Wenn eine fast nur noch gekrümmt sitzende Frau sich im Erzählen Stück für Stück aufrichtet und ihre Gesichtszüge wieder jünger werden.

Da nimmt die Menschenwürde Reißaus

Ich kann das Leiden ja nicht wegmachen. Oder die Lebenssituation ändern. Ich bin einfach da für jemanden in einer existenziellen Krise. Also in einer Lebensphase, die andere Menschen oft überfordert. Im Qualifizierungskurs des Hospizdienstes habe ich gelernt, wahrzunehmen, ohne zu interpretieren und ohne aktionistisch zu werden. Das ist sehr anders als im übrigen Leben, wo es meistens ums Tun geht. 

Und es ist, ehrlich gesagt, in der Praxis extrem schwierig. Wenn ein Mensch viele Jahre in einem Pflegeheim lebt und ich spüre seine riesengroße Einsamkeit, dann tut mir das einfach weh. Meine eine Stunde Dasein für den Mitmenschen kompensiert keine strukturellen Probleme. Ich frage mich oft, warum eine Einrichtung, die mit Menschen zu tun hat, Gewinne erzielen muss. Da nimmt die Menschenwürde doch schon Reißaus. Da müssen wir als Gesellschaft ganz anders denken, es neu machen. 

Sterben, Tod und Trauer waren Themen, über die ich schon als Kind viel nachgedacht habe. Das Ehrenamt hat mich darin bestärkt, dass die Emotionalität, die damit verbunden ist, Raum braucht. Weil sie uns hilft, Verluste zu bewältigen. Und wenn diese Emotionen schon im alltäglichen Leben ihren Platz haben, macht es uns weniger Angst, wenn ein nahestehender Mensch stirbt.

Ich möchte junge Menschen ermutigen, zum Hospizdienst zu gehen

Meinen Kindern sage ich, dass ich zu ganz schwer kranken Menschen gehe und für sie da bin, wenn sie Angst haben. Klar stellen sie auch Fragen, und ich versuche, sie so frei wie möglich zu beantworten. Als mein Opa in der Nacht vor der Schuleinführung meiner Tochter gestorben ist, hat die ganze Familie in unserer Stube Abschied von ihm genommen, auch die Kinder. Es ging beides zusammen: die Trauer und die Freude.

Ich möchte junge Menschen ermutigen, zu einem Hospizdienst zu gehen und einfach mal zu erleben, was dort geschieht. Infoabende, Thementage, Trauercafé, so was kann ein Anfang sein. Und ich denke, wir als Hospizbewegung können ruhig lauter sein und unbequemer. Wir können stärker das Gewohnte infrage stellen. Es gibt noch Vieles, das besser werden kann.

Luise Langlotz

Luise Langlotz

hat 2018 den Kurs zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin gemacht, in Gotha, bei der gemeinnützigen Hospiz-Initiative. Die Erfahrungen im Kurs und in den anschließenden Begleitungen haben die 35-Jährige motiviert, sich mit Sterben, Tod und Trauer auch beruflich zu befassen. Auch ohne medizinische Qualifikation hat sie in einem Team der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gearbeitet; derzeit ist sie als Beraterin für die Vorsorgeplanung in der letzten Lebensphase aktiv. Mit ihrem Mann und den drei Kindern ist sie vor einigen Monaten ins eigene Haus nach Waltershausen gezogen.