„Das wenige, das wir tun können, ist viel“

Ich war 14 Jahre, da habe ich eine schwere Lungentuberkulose bekommen. Es hat sechs Jahre gedauert, ehe ich wieder ganz gesund war. Das war eine schwierige Zeit, in der ich immer wieder am Rande des Lebens stand.

Woran ich mich bis heute gut erinnere, das ist das Gefühl einer ungeheuren Einsamkeit. In einem Sanatorium, es war in Schmalkalden, war ich wochenlang weitgehend isoliert. Tuberkulose ist ja hoch ansteckend. Täglich habe ich fünf, sechs Stunden im Freien gelegen. Da war viel innere Einsamkeit. Der tiefe Eindruck, abgeschrieben zu sein.

Zum Pfarrer hatte ich damals keinen Zugang

In der langen Phase der Krankheit habe ich mir oft eine andere Begleitung gewünscht, als der Pfarrer sie leisten konnte. Zu ihm hatte ich damals keinen Zugang, auch nicht zum Beten. Und doch haben mich die Erfahrungen aus dieser Zeit später bewogen, Theologie zu studieren. Und sie haben wohl auch bewirkt, dass der Umgang mit dem Sterben in meiner Arbeit und in meinem Leben so wichtig wurde.

Bereits während meiner Arbeit im Pfarramt war es mir ein Anliegen, die Gemeinde sehr viel stärker in ehrenamtliche Aufgaben einzubeziehen. So hat mein Engagement für die Erwachsenenbildung begonnen, die später in die ehrenamtliche Hospizarbeit und Sterbebegleitung mündete. Und dieser bin ich bis heute dienend verbunden geblieben.

Die Hospizarbeit ist eine zutiefst menschliche Aufgabe

Anfang der 90er Jahre haben wir in Jena ehrenamtlich einen ambulanten Hospizdienst aufgebaut. In den Jahren zuvor gab es schon einige Kontakte zu Hospizen im Westen. Das einzige Hospiz der DDR war ja in Halle, in einer katholischen Einrichtung. Das war für viele ein Fremdkörper, selbst die Kirche war nicht einverstanden mit der Einrichtung von Sterbehäusern, wie sie damals genannt wurden.

In der ehrenamtlichen Hospizarbeit bin ich vielen Menschen in großer Tiefe begegnet. Es ist ja eine zutiefst menschliche Aufgabe, das Leid anderer zu sehen und es ernst zu nehmen. Und so darauf zu reagieren, dass es dem anderen zugutekommt. Wenn ich dieses Ehrenamt ausübe, gewinne ich Mitmenschlichkeit. Und so sind wir doch gemeint: miteinander zu leben, verbunden zu sein.

Etwas in mir stirbt ständig

In der Begleitung sterbender Menschen habe ich die Langsamkeit entdeckt. Und ich bin bescheidener geworden. Den Tod wahrzunehmen bedeutet für mich auch: dem ständigen Mehr etwas entgegenzusetzen. Der Tod bleibt unverfügbar; er hilft mir, mein Leben anders wahrzunehmen.

Jetzt, wo ich alt werde, ist da diese konkrete Erfahrung, dass in mir ständig etwas stirbt. Meine Fähigkeit, die Treppen zu steigen, mich zu bewegen. Mein Tempo ist viel langsamer geworden. Es ist eine Aufgabe, damit nicht zu hadern.

Für die Hospizarbeit wünsche ich mir eine Lobby, die für sie streitet. Es darf nicht passieren, dass man mit dem Sterben Geld machen kann. Und ich wünsche mir mehr junge Menschen für dieses Ehrenamt. Die verstehen, dass das wenige, das wir tun können, viel ist.

Eckhard Schack

Eckhard Schack

wird am 17. April 1938 in Ohrdruf geboren. Mit 20 Jahren geht er nach Jena, studiert Theologie. Der Stadt bleibt er treu: promoviert dort, arbeitet als Vikar, ist zehn Jahre Pfarrer in der Friedenskirche. Ab Anfang der 90er Jahre leitet er das neu gegründete Erwachsenenbildungswerk in der Thüringer Kirche – die letzte berufliche Station vor dem Ruhestand 2001. Ein Thema, das ihn sein Leben lang begleitet: Wie können wir Menschen das Sterben lernen?